Eine Erzählung über Arulas Shamondes, den Ritter aus Eis und Schnee Erneut sind wir zusammengekommen, um zu hören – und zu erzählen. Um von Heldentaten zu berichten, von alten Legenden, von großen Kriegern und ihrem Weg. Heute aber will ich von einer dieser Legenden sprechen. Genauer gesagt Von einem Tod, über den sie berichtet. Von einem tragischen Ende, über das es – trotz der Größe dieses Mannes – kaum eine Erzählung gibt. Eine Tragik, vom Tod des Mannes, welchen ihr als den Ritter aus Eis und Schnee kennt, wie sie so noch nicht erzählt wurde. Viele mögen jetzt verwirrt sein – und das zu Recht. Denn nein: Der Ritter aus Eis und Schnee wurde nie von einem Feind bezwungen. Viel zu unüberwindlich galt sein Schwert. Und doch erzähle ich euch heute davon, wie Arulas starb. Vom Tod durch das Schwert, wie ihn so viele Krieger erleiden – ohne es zu bemerken. Dieser Tod ist anders als jene aus all den Heldenepen und Legenden, von welchen man so mannigfaltig lesen kann. Nein, der Tod, von welchem ich spreche, beginnt viel früher und wird kaum jemals in Erzählungen berücksichtigt. Ist er doch wenig glanzvoll oder heroisch. Es mag sein, dass er zu banal, zu häufig ist, als dass man ihm Beachtung schenken mag. Zu alltäglich. Vielleicht, weil er keinen Glanz trägt und sich nur schwer in Ruhm oder Ehre binden lässt. Doch die Wahrheit ist, dass die wenigsten Helden, welche diesen Titel verdient haben zu tragen, das Schwert ziehen können, ohne eben jenen Tod zu sterben. Und so erging es auch Arulas. Einst war er ein verliebter Junge. Ein glücklicher Mann. Leider eignen sich glückliche Männer nicht zum Helden, so sehr wir uns das auch wünschen mögen. Und so musste ihm sein Glück genommen werden, damit er die Feder beiseitelegen konnte. Denn erst als er die Feder abgelegt hatte. Erst als alle Geschichten, welche hätten sein können, aus seiner Hand durch die Feder zum Leben hätten erweckt werden können, begraben waren, schuf dies Raum für das Schwert. Doch auch danach war er noch nicht der Ritter aus Eis und Schnee. Nicht nach seinem ersten Kampf, nicht nach seiner Rache. Auch wenn Arulas daselbst bereits im Sterben lag. Erst als er das Schwert nicht mehr ablegen konnte. Erst als es er sich fragte, was er ohne Klinge war. Erst da ward der erste Schnee auf die Seele des Ritters gefallen. Warum, mögt ihr euch fragen, gab der Mann das Schwert nicht einfach auf. Seine Rache war doch gesühnt. Warum nicht erneut zur Feder greifen? Ja, eine wahrlich gewaltige Frage, welche nur jene beantworten können, die keine Linderung verspürten. Wahrscheinlich brennen Hass und Zorn zu hell. Brennen zu heiß, als dass sie noch Platz für Frieden hätten. Und wenn die Seele in Flammen steht und zu verbrennen droht, schmiegt sie sich nur zu gerne an die Kühle des Stahls. Dann ist auch eine Klinge in der Hand recht, solange sie nur die Schmerzen lindert. Doch diese Linderung ist trügerisch. Stahl löscht nicht Hass– er dämpft nur sein Brennen. Er friert die Seele ein. Friert so tief, dass nichts verbleiben mag. Nicht das kleinste bisschen Leben, welches zu brennen vermochte. Alles fort, vertrieben aus Schmerz und ersetzt durch die Kälte der Klinge. Und ist diese Kälte erst einmal in die Seele gezogen, vermögen nur noch Zorn und Hass Wärme zu spenden. Ist dieser Punkt erst erreich, kann das Schwert nicht mehr niedergelegt werden. Ist man doch selbst dann nicht mehr ganz. Die Klinge hat sich an jene Stelle gesetzt, wo einst das Herz war. Nimmt man sie fort – dann stirbt, was übrigblieb. So auch bei Arulas… Die Kälte des Stahls kühlte das feurige Lodern seiner Seele mit jedem Schwung der Klinge. Und mit jeder Heldentat schwand mehr von jener Hitze, welche ihn verbrannte und so sehr peinigte. Doch während Arulas diese Hitze, welche in ihm brannte, tötete, starb mit jedem bisschen auch immer ein Teil von ihm. Denn jeder von uns braucht diese Hitze, dieses Feuer in seinem Inneren zum Leben und zum Sein! Hätte er den Verlust von Nahndilie ohne das Schwert überlebt? Wer weiß das schon? Vielleicht hätte ihm die Feder helfen können.
Doch er wählte die Klinge, und sie brachte das Feuer in Arulas schnell zum Erlöschen. Und mit jeder Tat, mit jedem Feind, den er besiegte, wurde der Held in ihm größer – und Arulas kleiner. Was blieb, war der Ritter aus Eis und Schnee. Kalt. Unerbittlich. Unüberwindbar. Der größte Schwertmeister, den diese Welt je gesehen hat. Sein Name hallt durch Legenden, seine Feinde erzittern allein beim Klang. Myriaden von Geschichten erzählen von ihm. Heere wurden durch sein Erscheinen zerschmettert. Barden singen von seinen Heldentaten in hundert Sprachen. Und doch… Was fehlt, ihr wisst es wohl? Wozu wir niemals singen oder träumen werden? Zu einer Geschichte, welche von ihm selbst geschrieben wurde. Zu etwas, was er mit seiner Feder schuf. Es gibt nicht eine Geschichte aus seiner Hand. Kein Lied, das von Arulas erzählt – dem Mann mit der Feder.
Ich selbst könnte noch stundenlang von seinen Kämpfen berichten. Vom Ritter aus Eis und Schnee, von der Winterträne, seiner Klinge, über welche es ebenfalls hunderte Lieder gibt. Und so haben seine Heldentaten alles in seinem Leben überstrahlt. So mächtig waren sie, dass kein Platz für etwas anderes blieb. Kennt auch heute jeder seinen Namen - so kennt doch keiner seine Worte. Das mag daran liegen, dass glückliche Männer nicht zu Helden werden. Oder daran, dass man selten Geschichten über Geschichtenerzähler schreibt. All das trifft es nicht. Der Mann mit der Feder ist tot. Vor langer Zeit schon getötet, vom Schwert in seiner Hand. Und selbst wenn Arulas heute die Feder erneut ergriffe– wir würden ihn nicht mehr erkennen. Wir würden ihn weiterhin nur als jenen Krieger sehen, der als der Ritter aus Eis und Schnee bekannt war. Als den größten Schwertkämpfer aller Zeiten. Ein so vollkommener Mörder, dass er – nachdem er sich selbst getötet hatte – als Held weiterlebte. Und so ist heute vom Mann mit der Feder ist nicht genug übrig, als dass er zurückkehren könnte. Für ihn ist kein Platz mehr im Herzen des Ritters. Oder der Welt! Und so frage ich mich, frage ich euch, auch wenn er es versuchen mag, würdet ihr erkennen, wenn ich von ihm spräche, den Vater, Ehemann oder Dichter? Oder wäre da nur das Bild des Mannes mit dem Schwert?
Bevor ihr also nach der Waffe greift – mit Glorie im Herzen und dem Wunsch nach heroischen Taten – denkt an Arulas. Denkt an den Mann mit der Feder. Und fragt euch: Ist er mit dem Schwert glücklich geworden? Ein Schwert ist zum Töten geschaffen. Und es wird töten – auf die eine oder andere Weise. Solange ihr es haltet, könnt ihr daran nichts ändern.
Selbst der Ritter aus Eis und Schnee hat diesen Preis bezahlt. Und er trägt diesen ultimativen Preis als Titel, auf dass wir anderen alle gewarnt sind.
von Norgrimm Eisschrei
Messer Schere Gabel Licht wer nicht wagt gewinnt auch nicht