Murlana Garndaskov Seelenschützin Murlana Garndaskov sah mit Verwirrung auf die Horden feindlicher Streitkräfte, welche sich durch den dichten Dschungel kämpften. Als sie vor knapp einem halben Jahr den Befehl zum Ausrücken erhalten hatten, war ihr gesamter Trupp Mors Recens begierig darauf gewesen, das Blut der Garulem Schweine zu vergießen. Keiner der Schreinskrieger aus ihrem Trupp hatte sich für den Dienst in einem Dämonenschrein ohne ernsten Grund entschieden. Sie selbst hatte ihren kleinen Bruder Kasperius an das Reich Garulem verloren. Kasperius, ihr jüngster Bruder, ein hübscher und kluger Junge, welcher schon im Mutterleib mit seinen Gedanken immer nach ihr ausgegriffen hatte, war vor zwanzig Jahren auf einer Handelsreise dem Krieg zum Opfer gefallen. Sie fragte sich noch immer, manchmal des Nachts, wenn sie an den sanften Geist ihres Bruders dachte, warum die Truppen der Maschinisten das kleine Handelsschiff überhaupt angegriffen hatten. Sie hatte damals angefangen, ihre Psionik in Richtung Gemeinschaft auszubauen. Ihr Praktikum im Krankenhaus war an dem Tag zu Ende gewesen, als sie den Tod ihres kleinen Bruders gespürt hatte. Er hatte in Todesangst nach ihr ausgegriffen. Sein Geist hatte die Distanz zu ihr mühelos überbrückt. Sodass sie bei ihm war, als er starb. Seit diesem Tag war nichts mehr so wie früher. Sie konnte sich kaum auf die Aspekte der Gemeinschaft und des Friedens besinnen, welche für das psionische Heilen und die gesamte Schule der Gemeinschaft so essenziell notwendig war. Da war so viel Wut in ihr. So viel Wut und Zorn, dass es ihr Innerstes zu versengen drohte. Sie hatte all diesen Zorn nicht mehr ertragen können. Ein psionisch offener Geist, wie es bei den Ehleen, ihrem Volke üblich war, musste lernen, mit seinen Gefühlen umzugehen. Jede Psionik war eng mit den Gefühlen des Wirkers verbunden. Kanalisierte ein Wirker seine Psionik, so rief dies die zugehörigen Gefühle herbei. War ein Wirker allerdings nicht in der Lage, diese Gefühle zu kanalisieren, so konnte er die Psionik auch nicht anwenden. Zudem war das Kanalisieren von psionischer Macht nicht ungefährlich. Ergab sich ein Wirker zu sehr seiner Macht, veränderte dies seinen Geist. Mit jedem unvorsichtigem Wirken wurde der Verstand des Psionikers empfänglicher für eben jene Art des Fühlens und Wirkens. Ein untrainierter oder unvorsichtiger Psion konnte durch seine eigene Macht vollständig ausgehöhlt werden. Oft war der Anfang schleichend. Eine Person, welche oft die Psionik des Zornes nutzte, gewöhnte sich an diesen Zorn. Spürte ihn irgendwann zu jeder Zeit, bis die restliche Persönlichkeit von dieser Emotion vollkommen ausgehöhlt wurde. Dann war der Psion nur noch eine Karikatur seiner eigenen Persönlichkeit und auf dem besten Wege, ein Dämon zu werden. Diese Kreaturen waren je nach Art kaum noch als ihr früheres Ich zu erkennen. Unvorstellbar mächtig und völlig sich selbst und ihrer Psionik ausgeliefert, hatte die Arche, eine Splittergruppe ihres Volkes, angefangen, jene Wesen zu fangen. Diese Dämonen wurden in dafür vorgesehene Schreine gebracht, wo es von nun an ihre Aufgabe war, andere Arahiller auf dem Weg ihrer Psionik zu leiten. Murlana bleckte die Zähne. Der Schrein der Mors Recens wurde von einem Lamentum Morturi geführt. Ein Dämon der Kontrolle, des Zorns und der Wildheit. Sie war in diesen Schrein gekommen um, mit ihrer Wut und ihrem Zorn umgehen zu lernen, damit diese Gefühle sie nicht überwältigten. Dennoch zeigten sich auch in ihrem Gesicht und an ihren Fingernägeln bereits erste Spuren der Ascension. Einige hellblaue bis weiße Kristalle hatten sich in ihren Lippen und den Fingernägeln gebildet und verschwanden nicht mehr. Dies war ein klares Zeichen dafür, dass sie zu viel Zorn kanalisierte. Sie trug auch ein paar grüne und graue Seelenbrandkristalle unter der Haut, diese waren jedoch deutlich weniger ausgeprägt. Kein Mors Recens, den sie kannte, war von solchen Spuren verschont geblieben. Murlana war in den Schrein gekommen, als sie die ersten Spuren der blitzfarbenen Kristalle an ihren Lippen entdeckt hatte, und sie würde ihn erst wieder verlassen, wenn sie den in ihr tobenden Zorn soweit besänftigt hatte, dass sie wieder unter ihresgleichen leben konnte. Jedes Wesen aus ihrem Volk war psionisch aktiv und würde ihren schlecht kontrollierten Zorn bei einer Annäherung oder dem Versuch, ihren Geist mit dem seinen zu verbinden, sofort spüren. Sie warf einen weiteren Blick auf die vorrückenden Feinde. Die Sonne senkte sich langsam zwischen den hohen Baumkronen und spiegelte sich rot auf den kleinen, sich gabelnden Flüssen, welche sich zwischen den Mangroven hindurchschlängelten. Es war eine ganze Armee, die sich durch das Sumpfgebiet kämpfte. Viele schwer gepanzerte Männer, deren Augmentierungen Murlana zu Anfang so angeekelt hatte, dass sie sich kaum genug hatte konzentrieren können, um Kontrolle zu fokussieren. Kontrolle schärfte die Sinne, verlieh einer Person ein rationales und effizientes Denken. Das war enorm wichtig, denn richtig angewandt verlieh es dem Psion kleine Einblicke in die mögliche Zukunft. Eine Eigenschaft, die ihren Trupp unter der Führung des Lamentum Morturi extrem gefährlich werden ließ. Ein Psidämon hatte hundertfach verstärkte psionische Kräfte. Noch während sie von ihrem Versteck aus das Vorrücken der Armee betrachtete, fragte sie sich, womit ihr Lamentum Morturi wohl gebunden war. Kein Dämon, und besonders kein Lamentum Morturi, würde Sterblichen einfach so aus altruistischen Gründen beistehen. Eine Frage, deren Beantwortung das Vertrauen in ihr eigenes Volk wahrscheinlich erschüttern würde, daher war es besser, diesem Gedanken nicht weiter zu folgen. Zu Beginn ihrer Mission bestand ihr Trupp aus dreizehn Mors Recens. In den ersten zwei Monaten waren Goloriel und Talymsee gefallen und vor zwei Wochen hatte es Dunarell erwischt. Der Lamentum Morturi konnte wie kaum ein anderes Wesen in die Zukunft sehen und führte ihren Trupp mit einer grausamen Effizienz. Wenn er einen Angriff wagte, war der Kosten-Nutzen-Faktor immer entscheidend. Er opferte einen Soldaten, wenn es den feindlichen Truppen zum Schaden gereichte. Der Kampf, in welchem Goloriel und Talymsee gefallen waren, hatte dem Feind beinahe eintausend Soldaten und einiges an schwerem Kriegsgerät gekostet. Sicherlich ein verheerender Schlag, aber nicht aufzuwiegen gegen das entsetzte Gesicht Goloriels, als ein Nanitenwerfer ihn traf; Murlana erinnerte sich nur zu gut daran. Die kleinen Fraßdrohnen hatten seinen Körper sofort bei lebendigem Leib zerlegt, dennoch hatte der Lamentum Morturi seinen Plan mit dem Sterbenden. Goloriels Todeskampf lockte einen Trupp Soldaten mit ihrem Drohnenführer in Schussposition, sodass Murlana sie aufs Korn nehmen konnte. Sie hatte ausreichend Kontrolle fokussiert, um das Grauen, das sie sah, zunächst ausblenden zu können. Aber ihr war klar, dass es später über sie hereinbrechen würde. Sie hatte ihren Seelenjäger ruhig ausgerichtet und in die Zukunft geblickt. Der schwere Seelenbrandkristall, den sie lud, war mit reiner Wut gefüllt und würde jedes Wesen, das er streifte, mit diesem Zorn fluten, bis die Seele des Opfers selbst in diesem brannte. Ein solcher Schock war ausreichend, damit der Kristall die Seele des Opfers aus dem Körper reißen und in sich einschließen würde. Der Seelenjäger war eine der grausamsten Waffe der Arche. Das schlanke, lange Gewehr, welches in ausgefahrenem Zustand beinahe so groß war wie sie selbst, war dazu geschaffen, den Opfern die Seele aus dem Leib zu reißen. Wenn eine Schlacht geschlagen war, sammelten die Mors Recens alle Kristalle, die sie finden konnten, ein, um die darin gefangenen Seelen in ihre Seelenurne zu sperren. Anfangs hatte sie kaum glauben können, zu welchen Verbrechen ihr Volk in der Lage war. Das war allerdings gewesen, bevor sie gesehen hatte, was ein mit Nanitenwerfer bewaffneter Trupp Soldaten einer morrianischen Ortschaft auf diesem Planeten antun konnte. Ihre Bedenken waren völlig zerstreut, als sie die Klon- und Zuchttanks ihrer Feinde zum ersten Mal gesehen hatte. Murlana schreckte aus ihren düsteren Gedanken auf, als sie eine sanfte Berührung in ihrem Geist spürte. Einer der beiden Kommandanten des Trupps hatte sich mit ihr verbunden. Ein Lamentum Morturi führte sie zwar im Kampf, da er ein wahrer Meister der Prophezeiung und der taktischen Kriegsführung war. Aber Mitleid kannte er nicht, weder für den Feind noch für die Mitglieder des eigenen Trupps. Es gab immer auch Schreinskrieger, welche Kommandoposition innehatten, um im Zweifel den Dämon im Zaum halten zu können. Die Mission eines Lamentum Morturi war in der Vernichtung von Leben begründet. Sobald es um etwas anderes ging, zeigten sich diese Dämonen als wenig nützlich. Die einzige Ausnahme war das Anleiten von Schülern auf dem Pfad des Zorns und der Kontrolle. Lunriel, deren Geist sich mit dem ihren verbunden hatte, strömte sanfte Ruhe in ihren Geist. Die Kommandantin lag einige Meter weiter hinten zusammen mit ihrem Zwillingsbruder Nurassian in einem eigenen Versteck. Sie führten ihren Trupp zusammen und es kam so gut wie nie vor, dass Murlana nur einen der beiden in ihrem Geist spürte. Zwillinge waren bei Ehleen sehr selten und dies galt auch für jene ihres Volkes. Doch für Arahiller bedeutete dies ungleich mehr. Sich den Mutterleib mit einem Wesen zu teilen, welches einem so nahe war, dass man dessen Geist berühren konnte noch bevor man den der Mutter spürte. Zu spüren, wie der eigene Geist im selben Maße wuchs wie der des Zwillings, immer vereint und niemals getrennt, war etwas völlig anderes. Murlana hatte nie gefragt, was die Beiden zu den Mors Recens geführt hatte und war sich eigentlich nicht so sicher, dass sie wissen wollte, welche Tragödie gleich zwei Geister hatte brechen können. Doch jetzt, als Lunriel ihr mitteilte, dass der Lamentum Morturi sich auf dem Weg zu ihr befand, war Murlana unglaublich froh über die sanfte Ruhe der Zwillinge. Bei dem Gedanken an diese blasse, gerade mal Kind-große Gestalt mit dem Schädelkopf und dem langen strähnigen Haar, stieß sie ein leises Zischen aus. Vorsichtig verlagerte sie ihr Gewicht unter dem Tarnmantel. Sie wollte sich einen Überblick über die heranrückende Armee verschaffen und blickte durch die Linse ihres Seelenjägers. Sofort veränderte sich die Ansicht des Geschehens. Die Körper ihrer Feinde begannen zu glühen. Sie konnte die Seelen jedes Wesens durch die Linse dieses Gewehres sehen. Psioniker zeichnen sich wie ein wahres Leuchtfeuer vor anderen Sterblichen ab, wogegen Tiere und nur halb bewusste Wesen, welche sich nicht richtig selbst erfassen konnten, eher ein stumpfes Glühen waren. Sie konnte klar die Umrisse mehrere Nanitenschwarmführer erkennen. Diese hatten wabenförmige Kammern überall an ihrem Körper, in welchem Naniten lagerten. Diese kleinen Killerroboter waren an diese Waben gekoppelt und die Waben an das Gehirn des Schwarmführers. Ekel überkam sie erneut. Es war widerwärtig, wozu die Menschen von Garulem bereit waren, ihren eigenen Körper einzusetzen. Teilweise konnte sie Soldaten sehen, welche mittlerweile mehr Maschine als Mensch waren. Durch ihren Seelenjäger sah sie, dass diese ebenso wie Tiere kaum mehr eine Seele zu besitzen schienen. „Schütze Garndaskov, Ekel ist gut, ich empfinde nichts anderes, wenn ich diesen Müll aus Fleisch und Stahl sehe. Doch zügelt euch noch ein wenig, wir schlagen zusammen mit unserem eigenen Müll zu. Lass die Morrianer die Hauptlast des feindlichen Feuers tragen. Jeder von euch ist so viel wert wie eine ganze Welt von Morr. Hab also noch etwas Geduld, auch wenn es schwer ist“! Die kalte, zischende Stimme des Lamentum Morturi schnitt tief in ihren Verstand und entfachte den dort tiefsitzenden Zorn. Sie spürte die Wut, welche der Dämon auf die Menschen von Garulem empfand. Sie wusste ebenfalls, welchen Hass der Lamentum Morturi auf ihre menschlichen Verbündeten empfand. Doch es war kein Geheimnis, dass er auch Ehleen hasste. Einzig seine Mors Recens und Personen, die er einmal geliebt hatte, bevor er zu einem Dämon geworden war, bildeten eventuell eine Ausnahme. Aber hierbei war Murlana sich wirklich auch nicht sicher. Zuzusehen, wie die Truppen immer näher rückten, während der Dämon ihren Zorn und den jedes Mors Recens weiter anfachte, war schwer auszuhalten, aber sie blieb ruhig. Angst und Zweifel wurden von dem Lamentum Morturi vollkommen unterdrückt, während er seinen Trupp auf den bevorstehenden Kampf vorbereitete. Murlana spürte deutlich, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann, als der Dämon den Zorn ihrer kleinen Gruppe anfachte. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis er sich für einen Angriff entschied. Nurassian drängte sich mit seinem ruhigen Geist in den ihren. Sie vermutete, dass er sie alle gleichzeitig ansprach, doch sie griff nicht nach den anderen aus. Sie konnte ihre angespannten Seelen in der Nähe spüren, auch wenn die Tarnmäntel sie so effizient verbargen, dass sie ihre Gefährten in dem dichten Blätterwerk nicht sehen konnte. Nurassian entsandte sie zusammen mit Szerath weiter nach vorne. Dort gab es, seinen Angaben nach, einen kleinen Fluss. Dieser war nicht wirklich tief oder reißend, doch stark genug, dass die Fußtruppen nicht einfach durch ihn hindurch eilen konnten. An dieser Stelle sollten sie beide sich verschanzen und den Feind im Blick behalten. Ein solch mentaler Kontakt war für ihr Volk alltäglich. Informationen ließen sich schneller austauschen, waren detailreicher und Missverständnisse wurden durch die Umgehung der Sprache so gut wie ausgeschlossen. Für die Menschen des Morrianischen Reiches, in welches Arahill eingegliedert war, war es immer unheimlich zu sehen, wie ihr Volk sich scheinbar wortlos verstand. Auch ihre Babys schrien nicht. Zumindest nicht hörbar, sie griffen schon vor ihrer Geburt nach ihrer Mutter, dem Vater und auch nach den Geschwistern. Bei dem Gedanken an ihren Bruder wuchs der Zorn in ihr weiter an. Sie gab Nurassian und Lunriel mental ihre Zustimmung und begann, sich leise und unter ihren Tarnmantel gebückt auf die angegebene Stelle zu zubewegen. Weniger als fünfzig Meter zu ihrer Rechten kam leichte Unruhe in das Lager ihrer Feinde. Die Soldaten hatten ein Ziel erspäht. Mehrere morrianische Soldaten eröffneten das Feuer. Drei Menschmaschinen, welche über einfache Magnetsignale Drohnen steuerten, begaben sich an die Spitze des Trupps und sandten die Biomaschinen in den Wald vor ihnen aus. Die morrianischen Soldaten waren diszipliniert und gut ausgebildet, doch für einen Angriff von solchen Kreaturen waren sie nicht gerüstet. Geordnet zogen sie sich parallel zum Fluss zurück. Noch im Rückzug schossen die Morrianier auf ihre Verfolger. Murlana konnte sehen, wie mehrere der fliehenden Menschen stumm zu Boden gingen, bevor gewaltige Explosionen den Ort markierten, an welchem die Naniten sie erwischt hatten und wo sie dem Protokoll folgend ihre Plasmagranaten gezündet hatten. Die Armee der Feinde schwenkte, als sie die Verfolgung aufnahmen und plötzlich von immer mehr morrianischen Soldaten beschossen wurden. Der Hinterhalt, den die Menschen gelegt hatten, war brillant. Doch sie würden nicht lange standhalten können, wenn sie keine Unterstützung erhielten. Sie hatten kaum schwere Waffen und waren viel zu wenige, um einer kleinen Armee standhalten zu können. Hier kamen die Mors Recens ins Spiel. Sie waren zwar auch nur sehr wenige, doch jeder war ein Schlachtenpsioniker und darin ausgebildet, Furcht und Terror in den Feinden zu entfachen. Die Feinde versuchten, das kleine morrianische Kommando so schnell wie möglich mit maximaler Gewalt auszulöschen. Der Lamentum Morturi hatte genau DIESES vorhergesagt. Mit einem Gedanken, der ihren Herzschlag beschleunigte und ihr primitives selbst ansprach, zog Murlana psionische Kraft um sich zusammen. Binnen weniger Herzschläge spürte sie die unnatürliche Kraft ihrer Psionik durch ihren Körper fließen. Ein lautloser Satz brachte sie mehrere Meter weit durch das dichte Buschwerk bis zu dem kleinen Fluss, welchen Nurassian ihr gezeigt hatte. Dieser trieb in einem gemächlichen Tempo vor sich hin und verursachte bei seinem langsamen Dahinfließen so gut wie keine Geräusche. Ein weiterer Satz, den Murlana erneut mit psionischer Kraft ausführen musste, brachte sie über den Fluss hinweg. Auf der Zielseite angekommen duckte sie sich zwischen zwei umgestürzte Bäume, welche halb von Schlingpflanzen und den dicken Wurzeln einer Mangrove überwuchert waren. Sekunden später tauchte Szerath aus dem Fluss auf und suchte sich ebenfalls ein Versteck. Schnell zog ihr Partner sich seinen Mantel über den Kopf und duckte sich auch zwischen das dichte Unterholz. Im selben Moment verlor Murlana ihn aus den Augen. Im Geiste fokussierte sie sich auf das Bevorstehende. Mit psionsich geschärften Sinne suchte sie nach verborgenen Feinden. Sobald sie sicher war, dass kein Feind sie erspäht hatte, konzentrierte sie sich und ihre Psionik auf das Kommende. Verschiedene Zukunftsstränge tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Jeder eher ein Art Vorahnung und diffus. Kontrolle war grau und ebenso leer war auch die damit verbundene Empfindung. Die graue Kontrolle war eine verzwickte Schule. Es war keine Emotion, welche einen übermannte, sondern reine Logik, frei von allen irrationalen Gedanken, die einen in der puren Logik zu fesseln begann. Langsam richtete sie ihr langes, kristallines Gewehr auf den Punkt aus, an welchem ihrer kleinen Vorhersehung zufolge die ersten Feinde auftauchen würden. Sie war bei weitem nicht so machtvoll wie der Lamentum Morturi. Der Dämon war in der Lage, auch das eigene Handeln mit in die Prophezeiung einzuberechnen und klare Wege durch die sich ihm offenbarenden Zukünfte zu planen. Sie konnte dies nicht. Zumindest nicht sicher. Wenn einer ihrer Partner beschloss, jetzt anzugreifen, würde die Realität von ihrer Prophezeiung abweichen, wenn auch nicht sehr stark. Die Kontrolle kämpfte in ihrem Kopf gegen den Zorn an, welcher in ihr brannte, während sie ihren ersten Schuss berechnete. Die Armee war beinahe vollständig von ihnen fortgeschwenkt, als der erlösende Befehl kam, „Jagt nach eigenem Ermessen!“ Dies bedeutete so viel wie: Plant euer Vorgehen selbst, eliminiert dabei jedoch so viele Feinde wie möglich. Sie bestätigte zusammen mit Szerath. Ihr erstes Ziel war ein Drohnenführer, welcher im Unterholz in der Nähe des Flusses kauerte. Der Mann hatte seine einst menschliche Gestalt so gut wie vollständig aufgegeben. Ein dichtes Netz aus Kohlenfasermetall überzog einen Großteil seiner Haut. Die Arme und Beine waren durch offensichtlich maschinelle und klobige Repliken ersetzt worden. Auch einen Teil des Kopfes und wahrscheinlich des Gehirnes hatte er sich ersetzen lassen. Mit den Implantaten im Kopf steuerte er vermutlich die kleinen, tierartigen Drohnen, welche sich zurzeit an seiner Seite befanden und mit ihren Kameras den Flusslauf absuchten. Sie sandte einen leichten Impuls in ihren Seelenjäger. Sofort wurde ihr mentaler Befehl zu töten in der Waffe verstärkt, bis allein von dem Wunsch zu töten ein psionisch aufgeladener Seelenkristall aus der Öffnung ihres Scharfschützengewehres geschossen wurde. Die psionischen Waffen ihres Volkes benötigten weder eine Treibladung noch verursachten sie ein Geräusch oder besaßen ein Mündungsfeuer. Der etwa fingergroße Kristall wurde durch die Macht ihres Zornes abgeschossen und fand durch ihre Prävision sein Ziel. Er drang zuerst durch den Arm des Drohnenführers, bevor er in einen der in diesem Moment auftauchenden, auf vielen Beinen laufenden Kampfpanzer durch die Frontscheibe schlug und dem in die Maschine integrierten Klon in die Brust drang. Sobald dieser mit Zorn angefüllte Kristall seine Opfer berührte, entriss er ihnen sofort die Seele, indem er seine Opfer mit dem Zorn des Schützen flutete, bis die Seele in den Kristall floh. Drohnenführer als auch Panzer brachen sofort leblos zusammen. Die Verletzung war minimal. Der Körper noch intakt und lebendig, doch die Seele, welche ihn mit Willen und Wünschen erfüllt hatte, war fort. Noch bevor Murlanas Schuss überhaupt registriert worden war, brachen weitere Feinde zusammen. Die Mors Recens griffen an. Sie konnte den Zorn spüren, welcher jedem Feuerstoß aus einem Seelenjäger folgte. Kein Mors Recens tötete nur eine Kreatur mit einem Schuss und so entstand das Bild einer weiteren Armee, welche den Garulem Soldaten in den Rücken fiel. Innerhalb von wenigen Sekunden hatte sich der Vorstoß der Feinde in reines Chaos verwandelt. Befehle wurden gebrüllt, Schüsse wurden blind in den Wald gefeuert, Soldaten warfen sich hastig in Deckung, die in Wahrheit keine war, und schweres Kriegsgerät wurde bemannt. Sie konnte von ihrer Position zwischen den Wurzeln aus sehen, wie mehrere Soldaten sich mit Fraßdrohnenwerfern ausrüsteten. Diese Waffen waren tückisch. Die gerade zellgroßen Drohnen waren darauf programmiert, Säugetiere zu zerstören und sich bei diesem Prozess selbst zu replizieren. Die Drohnen bewegten sich auch nach dem sie abgeschossen wurden noch aktiv auf potenzielle Ziele zu, verbrauchten jedoch viel Energie. Die Waffe, mit welcher sie abgefeuert wurden, war klobig und nach allem, was Murlana wusste, auch enorm kostspielig. Ihrer Prävision folgend bewegte sie sich ein paar Meter zur Seite. Sie ließ sich unter ihrem Mantel verborgen langsam in das kühle ruhige Wasser gleiten, während sie ihr Gewehr eng an den Körper geschmiegt trug. Mit ihrer Hand griff sie nach den verschossenen Seelensplittern aus, die nun mit verängstigten und in Panik geratenen Seelen gefüllt waren. Auf ihren Befehl hin erhoben sich die Splitter und glitten lautlos auf sie zu. Kontrolle gab ihr neben der Prävision auch die Fähigkeit, Dinge mit ihrem Geist zu bewegen. Eine in diesem Moment sehr praktische Fähigkeit. Halb im Wasser kauernd ließ sie die gefüllten Seelensplitter in ihre Seelenurne gleiten. Diese bestand so gut wie nur aus einem etwa unterarmlangem Rohr, welches mit Runen und Siegeln versehen war. Auf einen Befehl hin würden die Seelensplitter innerhalb des Rohes zerbrochen werden und die panischen Insassen daraufhin herausgeschleudert. Bei diesem Akt würden sie dutzende Ziele, die sie passierten, mit in den Tod reißen. Für alle nicht psionisch begabten Wesen würde es so aussehen, als würde das Rohr in die Richtung der Ziele gerichtet, die daraufhin panisch schreiend und brabbelnd zusammenbrachen, um sich nicht mehr zu erheben. Auch hier unterdrückte der Lamentum Morturi wieder jegliche nicht zur Mission passenden Gefühle, wodurch Murlana sich mit ihren Gewissensbissen und der daraus resultierenden Übelkeit erst später befassen musste. Eine Sekunde nachdem sie ihren Posten verlassen hatte, schlug die Nanitenrakete eines sterbenden Läufers dort ein, wo sie soeben noch gesessen hatte. Sie konnte vor den wirbelnden Miniaturdrohnen unter Wasser in Deckung gehen, doch in ihrem Geiste spürte sie, wie Szerath getroffen wurde. Der Schmerz war immens, als die Naniten begannen, seinen Körper immer schneller zu zersetzen. Dennoch feuerte der Soldat weiter und wählte seine Ziele mit immer größerer Geschwindigkeit aus. Der Dämon unterdrückte jegliche Angst oder Schmerzen in ihm und befeuerte nur den Hass und Zorn des Mannes. Wenige Sekunden später hatten die Feinde Szerath entdeckt. Geschosssalven zerrissenen den Körper ihres Freundes, ehe dieser sich eine neue Deckung suchen konnte. Bevor er jedoch starb, kanalisierte Szerath seinen Hass in einem gewaltigen Blitzschlag, welcher mehrere Soldaten zu Asche verbrannte und die Angreifer blendete. Sofort kam der mentale Befehl des Lamentum Morturi, den Angriff zu verstärken. Sie mussten die Feinde jetzt brechen. Szerath hatte ihnen als geplante Ablenkung die Flanken ihrer Feinde geöffnet. Die Trauer um ihren Gefährten währte nur kurz, bis sie unterdrückt und in Zorn umgewandelt wurde. Murlana erhob sich, kanalisierte den frischen Zorn in einen gewaltigen Blitz, welchen sie den verblüfften Feinden entgegenwarf, bevor sie die gefangenen Seelen frei ließ. Mehr als zwanzig Feinde und die Besatzung eines Panzers gingen unter diesen beiden Angriffen zu Boden. Sie spürte, wie ihre Gefährten weiter hinten ganz ähnlich vorgingen. Der Angriff war im vollen Gang. Sie rannte nach vorne und ließ ihren Seelenräuber vollautomatisch schießen. Sie war zwischen den Feinden, welche von den winzigen Kristallen gepfählt ihre Seelen verloren. Überall um sie herum hatten die freigesetzten Naniten begonnen, sich einem Teppich gleich auszubreiten. Die Seelenlosen gaben genug Nahrung, um sich explosionsartig vermehren zu können. Links von sich spürte sie, wie eine Schwester von einem Nanitenwerfer eingedeckt wurde. Im Sterben ließ die Frau ihren Zorn einem Gewitter gleich über die Feinde nieder gehen. Murlana konnte ihrer Prävision nicht mehr vertrauen. Zu viele Bilder, zu viele Möglichkeiten, spielten sich vor ihrem inneren Auge ab, als dass sie diese noch zu deuten gewusst hätte. Vor ihr erschien ein Cyborg, welcher mit mehreren schweren Schwertern auf sie losging. Überrascht konnte sie dem ersten Angriff nur schwach ausweichen. Unter dem Zweiten duckte sie sich hindurch. Mit einem Finger berührte sie die Brust des Angreifers. In einer Explosion aus Blitzen, welche die materielle Manifestation ihres Zornes waren, wurde er mehrere Meter von ihr entfernt zu Boden geschleudert. Sie spürte, wie Faherie ganz in der Nähe von einem Nanitenwerfer getroffen wurde. In Windeseile war sie bei ihrer Freundin. Ein Blitz von ihr und Lunriel verbrannte die kleinen Roboter auf dem Körper der Ehleen, welche aus mehreren tiefen Wunden blutete, jedoch ohne mit der Wimper zu zucken weiter feuerte. Dass der Dämon geduldet hatte, ihre Freundin zu retten, musste mit der Nähe der Zwillinge zusammenhängen. Bevor sie sich jedoch erneut ins Gewimmel stürzen konnte, spürte sie einen brennenden Schmerz in ihrem rechten Fuß. Sie war in die sich ausbreitenden Naniten getreten. Diese hatten sofort angefangen, sich durch ihren Stiefel und ihren Fuß zu fressen. Wenn sie nicht sofort handelte, würde sie sterben. Kalt und logisch entschied sie, sich auf den Kampf zu konzentrieren, da sie in ihren letzten Momenten den Sieg erringen konnte, wobei ein Überleben unwahrscheinlich war. Erneut begann sie, sich Ziele für ihr Gewehr zu suchen. Genau zwischen den Feinden stehend, welche in völliger Verwirrung von ihren eigenen Waffen gefressen wurden, konnte sie deutlich den General sehen. Als sie auf ihn anlegte, blickten sie sich für weniger als eine Sekunde gegenseitig an, bis seine Augen ihren Glanz verloren, als ihm die Seele aus dem Körper gerissen wurde. Nahezu im selben Moment wurde um Murlana alles schwarz. Sie konnte noch spüren, wie ein kleiner Nanitenball ihre linke Gesichtshälfte traf. In diesem Moment gab der Lamentum Morturi sie auf, und Angst und Verzweiflung kehrten mit Macht zu ihr zurück. Jene Kraft, welche vor Sekunden den Cyborg von ihr weggeschleudert hatte, ließ sie jetzt auf sich selbst wirken. Ihre Hoffnung war, durch die Blitze die Naniten zu verbrennen